Viele der Blogleser haben mir
Nachrichten und Mails geschickt und angefragt, ob ich mit dem Blog nicht trotz
des tragischen Unfalls weitermachen
kann. Ich hatte auch noch tausende Ideen und täglich neue
Eindrücken gesammelt, über die es sich
gelohnt hätte zu berichten. Allerdings steckt der Tod unseres Trainer noch so
tief in jedem von uns drin, dass lockere Berichte über die Spiele nicht mehr möglich waren. Deshalb wenige Stunden vor
meinem Abflug nur noch ein kurzer Abschlussblog aus Rio.
Beginnen muss ich natürlich mit dem tragischen Tod unseres Trainers, der alles überlagert hat. Es lässt sich nicht in Worte fassen, wie uns dieser Tod mitgenommen hat. Hätten wir sofort das Team abmelden müssen und nach Hause fahren? War es richtig, dass wir so gut wie möglich versucht haben, dieses tragische Geschehen zu verarbeiten und von den Sportlern fernzuhalten? Muss die Trauer alles andere überlagern und ist jeder Freudenschrei eines Medaillengewinners aus unserem Team unangebracht? Ich weiß es nicht und gebe zu, dass ich mit dieser Situation überfordert war und bin.
Wir haben dennoch gemeinsam im Team entschieden, dass unsere Sportler an den Start gehen sollten und möglichst ihre beste Leistung abrufen sollten. Manche haben uns vorgeworfen, dass wir nicht sensibel genug mit diesem Thema umgegangen und zu schnell wieder zum Alltag übergegangen sind, als wir uns auf die weiteren Wettbewerbe konzentriert haben. Andere wiederum haben angemerkt, dass wir mit unserer Trauer und der Trauerbewältigung nicht übertreiben sollen. Mögen Andere beurteilen, was in dieser Situation richtig oder falsch war. Unser Team und ich haben nur versucht so gut wie möglich die traurigen Umstände zu bewältigen und das gemacht, was wir in der jeweiligen Situation für angemessen gehalten haben, aber uns bei jeder Entscheidung auch immer gefragt, was Stefan gewollt hätte.
Die gesamten Sportler des deutschen Olympiateams konnten im Olympischen Dorf von Stefan im Beisein des IOC Präsidenten in einer würdigen Trauerveranstaltung Abschied nehmen. Ein evangelischer und katholischer Pfarrer haben in sehr weltlichen Worten das Unveränderliche der Situation deutlich gemacht und das gemeinsame Abschied nehmen etwas leichter gemacht.
Und jetzt tue ich mich beim
Übergang zu anderen Themen in meinem Abschlussblog genauso schwer, wie beim
Umgang mit dem schrecklichen Unfall. Deshalb
vielleicht nochmals ein Blick auf die Stadt Rio und die olympischen Spiele im
ganzen, ehe ich zu den emotionalen Erlebnissen bei den Rennsportevents komme.
Die Spiele fanden nicht in einer Blase, sondern in einer realen lebendigen südamerikanischen Großstadt statt, sagte der IOC Präsident kurz vor dem Abschluss der Spiele. Allerdings ist diese Stadt schon ohne Spiele überfordert. Arm und Reich, schön und hässlich liegen auf wenigen Metern in Rio nebeneinander. Gerade noch am Nobelrestaurant vorbeigelaufen muss man vorsichtig sein, nicht über Obdachlose zu stolpern, die ganz offen Quartier auf der Hauptverkehrsstraße beziehen. Das Gewühl in den teuren Shoppingcentern ist genauso groß wie in Deutschland und man sieht gleichzeitig Tausende, die wahrscheinlich nie hier einkaufen können. Der Verkehr ist eine Katastrophe, nicht immer aber meistens und wird wahrscheinlich auch ohne olympische Spiele nicht weniger chaotisch ablaufen. Sicherlich lief in der Organisation nicht alles so rund wie in London und manches lief einfach anders, eben südamerikanischer ab. Aber dürfen wir immer alles mit unseren mitteleuropäischen Wertvorstellung messen und erwarten, dass alles überall so läuft wie in Europa? Ich persönlich glaube, dass wir das nicht tun sollten und Respekt vor den Eigenheiten und der Herangehensweise der Gastgeber haben müssen. Wir sind ab morgen wieder weg und die Cariocas müssen weiter in Rio mit all den Problemen klarkommen. Es wird weiter in Brasilien unter schwierigen Bedingungen Sport getrieben, während wir schon wieder unter unserer warmen Dusche im sauberen Bootshaus stehen. Es wird weiter Stau geben und die Einwohner werden weiter an manchen Tagen für 5 km Autofahrt zwei Stunden brauchen. Und doch denke ich, dass Rio nach diesen Spielen anders sein wird. Wer hier war wird gesehen haben, dass aus der Nahsicht manches weniger bedrohlich wirkt als aus unserer deutschen Fernsicht. Manches, was unsere Presse über die Zustände in Rio geschrieben hat, war falsch und manches immer noch maßlos übertrieben. Ich habe nicht eine Mücke gesehen und war trotz 19 Grad Wassertemperatur zweimal im zumindest an der Copacabana sehr sauberem Meer schwimmen.
Vieles wurde in den letzten Jahren in Rio getan, um diese Stadt lebenswerter zu machen. War Olympia nur der Auslöser von Veränderungen oder wären all diese Verbesserungen auch ohne Olympia passiert? Sind es die Schulden wert, die die Stadt Rio für die Bauprojekte machen musste oder hätte man ohne Olympia lieber auf diese Investitionen verzichten können? Weiß ich alles nicht. Ich kann mir aber nicht vorstellen, wie Rio bisher ohne diese neue Infrastrukturprojekte funktioniert hat. Nicht nur die Metro nach Barra, dass neue Schnellbussystem BRT, auch zahlreiche neue Tunnel, die die einzelnen Stadtteile verbinden, sowie komplett neue Verbindungsstraßen bleiben und werden für einen reibungsloseren Verkehr sorgen (d.h. aber noch lange nicht Staufrei). Viel wurde beim Umweltschutz getan. Viele Abwässer werden nicht mehr direkt in das Meer geleitet, sondern geklärt und auch die Abwässer aus den Favelas werden teilweise nicht mehr in die Lagune geleitet. Die Sensibilität für die tägliche Umweltverschmutzung des Ozeans ist bei den Einwohnern größer geworden. Ich glaube ein Zurück zu den alten Zuständen wird es nicht mehr geben. Die Einwohner haben gesehen, dass vieles funktioniert wenn es funktionieren muss und die Buchten und das Meer plötzlich relativ sauber sind und werden dies auch nach den Spielen von ihrer Regierung einfordern.
Bei den Sportstätten wird es wohl keine "weißen Elefanten" geben. Brasilien ist sportverrückt und noch bekloppter wenn es um Fußball geht (gestern bin ich während des Spiels Brasilien-Deutschland in Rekordzeit auf fast leeren Straßen ins deutsche Hause gekommen) und wird die Sportstätten die nicht temporär waren, weiter nutzen. Zu unserem Slalomkanal und der Nachnutzung habe ich ja schon einiges gesagt und er wird zukünftig dann, wenn es keinen Wettkampf gibt, das größte Freibad der Stadt werden. Die Kanu-Rennsport- und Ruderstrecke befindet sich ja direkt bei einem großen Ruderclub und wird sicherlich in abgespeckter Form für zukünftige Wettkämpfe genutzt. Viele andere Sportstätten waren nur temporär und werden wieder abgebaut.
Ich denke am Ende war Alles im wesentlichen gut und bis auf wenige Kritiker hat sich die Überzeugung durchgesetzt, dass die Vergabe der Spiele nach Rio richtig war.
Nach anfänglichem Zögern haben
die Brasilianer die Spiele auch angenommen. Zwar waren tatsächlich am Anfang
viele Plätze in vielen Wettkampfstätten frei, was aber häufig weniger am
Interesse sondern an den langen Schlangen vor den Sicherheitsschleussen lag.
Die letzten kamen erst rein, wenn die Wettkämpfe vorbei waren. Bei anderen
Wettkampfstätten waren tatsächlich bei den Vorkämpfen manchmal nur die Hälfte
der Plätze belegt. Zum Ende der Spiele wurden die Stadien voller und gerade die
Kanu-Wettbewerbe waren fast immer ausverkauft. Man musste sich auch an das
Zuschauerverhalten der Brasilianer gewöhnen. Eigene Sportler wurden frenetisch
angefeuert und Mitbewerber teilweise ausgebuht. Aber das, so sagen das die Brasilianer
selbst, gehört zum emotionalem Charakter von Südamerikanern und ist nicht böse
gemeint.
Am Ende sind alle Brasilianer mit denen ich gesprochen habe stolz und glücklich, diese Spiele im eigenen Land erleben zu können. Auch wenn nicht alles immer rund lief, lief es zum Erstaunen der Brasilianer besser als es die meisten Brasilianer erwartet haben. Es gab keine größeren Vorfälle und am Ende hat Brasilien so viele Medaillen wie noch nie bei olympischen Spielen gewonnen. Ein Kanute mit 3 Medaillen ist der neue Volksheld und Brasilien ist Olympiasieger im Fußball. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass die Brasilianer es sich selbst nicht zugetraut haben, diese Spiele so zu organisieren, dass sie im Wesentlichen gut ablaufen. Als sie gemerkt hatten, dass es funktioniert, waren sie von den Spielen begeistert und auf sich selber und ihr Land stolz. Ich glaube, jetzt würden sie am liebsten noch einige Tage weitermachen und waren traurig, dass die Spiele so schnell vorbei sind.
Die Sprintwettkämpfe auf einem See mitten in der Stadt vor traumhafter Kulisse liefen fast reibungslos. Noch in der Woche vorher hatten die Ruderer viel Pech mit dem Wetter. Uns hat es nur an einem Tag getroffen, als in der Nacht ein schwerer Sturm losging und Blätter von umliegenden Bäumen ins Wasser wehte. Diese wurden offensichtlich am nächsten Morgen nicht ordentlich entfernt und beim K1 Finale der Herren hatten einige Boot, darunter auch Max Blätter am Steuer. Das darf beim wichtigsten Rennen der letzten 4 Jahre nicht passieren. Da ihr alle die Ergebnisse kennt, verzichte ich auf eine Auflistung unserer einzelnen Erfolge.
7 Medaillen, 4 Gold, 2 Silber und
eine Bronze sind das beste Abschneiden eines Rennsportteams seit Athen.
Haben wir dieses Ergebnis so erwartet - eindeutig nein.
Eventuell erträumt - Ja schon,
aber noch nie seit den Spielen in Athen sind die Träume von vor Olympia auch Realität
geworden.
Ich habe beim Abschlussabend gestern nicht die Olympiasieger-und Medaillengewinner in meiner Rede erwähnt. Die werden in den nächsten Tagen und Wochen noch genug gefeiertm, sondern ich habe mich bei denen besonders bedankt, die keine Medaille errungen haben aber wichtiger und unverzichtbarer Bestandteil des Teams waren. Conny Waßmuth hat bei ihrem zweiten olympischen Spielen für den Teamzusammenhalt herausragendes geleistet. Sie war die Ersatzfrau im K4 und musste doch den olympischen Regularien folgend, in mindestens einem Rennen auf der von ihr nicht unbedingt geliebten 200m Distanz antreten. Stefan Kirey durfte überraschend an den Spielen teilnehmen, da wir trotz geplanten Doppelstarts von Sebastian zwei Sportler für die im C2 zugesprochenen Quotenplätze nominieren und in mindestens in einem Rennen zum Einsatz bringen mussten. Es war für Basti unwahrscheinlich wichtig, dass er zwei weitere Canadierfahrer um sich hatte, die für gute Laune und Abwechslung sorgten.
Ich habe mich bei allen im Team bedankt die als Techniker, Betreuer, medizinisches Personal oder Trainer ein wichtiger Teil dieses Puzzles waren. Am Ende haben alle Teile des DKV-Puzzles zusammengepasst und auch wenn es wie eine Phrase klingt, das wirkliche Geheimnis unseres Erfolges in Rio war ein starkes Team. Und dazu gehören ausdrücklich auch die Heimtrainer, die Vereine, bei denen die Sportler das Paddeln gelernt haben, die Bundestrainer, die das Team im Junioren-und U 23 Bereich mit geformt haben und natürlich die Sponsoren, die uns über die letzten Jahre die Treue gehalten haben.
Dafür im Namen des gesamten Teams ein herzliches Dankeschön.
Jetzt noch einige Anmerkungen zur grandiosen Abschlussfeier im Deutschen Haus am Samstag.
1. Das Haus steht noch.
2. Was in Rio passiert bleibt in
Rio (aber keine Sorge so schlimm war es nicht)
Wer tatsächlich wissen will, wie und wie lange unsere Sportler gefeiert haben, kann gerne am Freitag zum Empfang unseres Olympiateams nach Brandenburg an die Regattastrecke komme. 19.00 Uhr wird direkt vor der Tribüne das gesamte Team den Fans und Sportlern für Gespräche zur Verfügung stehen. Der Eintritt ist frei und nicht beschränkt.
Der Blog wurde bis zum tragischen Tod von Stefan gut angenommen. Am sechsten Tag der Spiele gab es mehr als 3000 Zugriffe. Ich entschuldige mich, dass ich die vielen Mails, Whats-Aps und Facebook Kommentare nicht beantworten konnte. Ich schätze mich erreichten fast 700 Kommentare der verschiedensten Art. Alle Anregungen und Hinweise zu beantworten war leider zeitlich nicht zu schaffen.
So ich dann im nächsten Jahr wiedergewählt werde und bis Tokio gesund bleibe, wird es von mir auf jeden Fall ein ähnliches Informationsangebot auch von den nächsten Spielen geben. Bleibt alle bis dahin gesund, wir haben gesehen wie schnell Sport absolut unwichtig wird und engagiert euch mit der Begeisterung, die das Auftreten unserer Mannschaft in Rio ausgelöst hat, weiter für unseren schönen Kanusport. Und eine Bitte an die, die nur zufällig auf diesem Blog gelandet sind - behaltet die Kanuten auch außerhalb von olympischen Spielen im Blick - es lohnt sich.