Mittwoch, 10. August 2016

Tag 5 - Das kann nicht mehr Rio sein

Strömender Sprühregen und Temperaturen um 15 Grad lassen Rio heute still stehen. Kaum jemand auf den Straßen und nur die Olympiateilnehmer und Touristen joggen im brasilianischen Winter. Es scheint als ob ich heute in einer anderen Stadt aufgewacht bin. Klitschnass und frierend nach 30 Minuten zurück im Hotel habe ich gerade gehört, dass die Ruderwettkämpfe abgesagt wurden. Kein Wunder bei dem Sturm heute. Für die nächste Woche sieht das Wetter aber wieder deutlich besser aus und hoffentlich haben wir faire Bedingungen bei den Sprintwettbewerben.
Gestern Abend im Deutschen Haus gemeinsam mit Sid den Frust über die verpasste Medaille mit Caipirinha weggetrunken. Klar wollte er eine Medaille, aber auch der Fünfte Platz bei Olympischen Spielen ist nicht schlecht und er realisiert schon langsam, dass man gut mit diesem Platz leben kann. Im übrigen hat mir der Cheftrainer gesagt, dass meine Einschätzung von gestern,  dass der Kurs zu leicht sei, falsch ist. Der Kurs ist sehr fair für alle Sportler und konnte gerade für das Publikum die Spezifik und Dynamik unseres Sports gut rüberbringen.



Wir hatten auch diskutiert ob es für Sid schwieriger war, am Ende des Feldes zu fahren und er nicht doch im Halbfinale am Ende hätte die Geschwindigkeit runternehmen müssen. Auch hier hat der Cheftrainer eine klare Meinung. Sid hat schon oft bewiesen, dass er als letzter fahren kann und sich nicht beeindrucken lässt. Gleichzeitig muss man auch bei der schwierigen Wetterlage hier in Rio im Kopf haben, dass bei Rennabbruch immer das Ergebnis des letzten absolvierten Rennens zählt. Also alles richtig gemacht und ich bin sicher, Sid wird in seiner Kariere nochmals um Olympiamedaillen kämpfen können.

Das Leben bei Olympia ist schon komisch. Der persönliche Horizont reduziert sich auf einige wenige Themen und man lebt wie in einer Blase. Man weiß gar nicht mehr welcher Tag ist und statt zu sagen, dass heute Mittwoch ist,  benennt man die Tage nach den anstehenden Finales. Heute ist also der Tag des Kajak Finales. In Deutschland schaue ich alle halbe Stunde aufs Handy und checke die Börsenkurse oder gucke, was es in der Welt Neues gibt. Hier interessiert nur das Ergebnis der Vielseitigkeitsreiter, Fechter und Schwimmer. Das wichtigste in meiner Weltsicht hier in Rio war gestern die Frage, ob es Franziska Hentke ins Finale schafft und ob die Schwimmer weiter medaillenlos bleiben. Am emotionalsten war die Ehrung unserer Turnmädels für ihren klasse 6.Platz auf der Bühne im Deutschen Haus. Andere Probleme gibt es hier für mich nicht.
Das schafft auch nur Olympia, dass ich nicht zweimal am Tag in meiner Firma anrufe und sie werden dort schon ganz nervös, weil ich das normalerweise mache, egal wo ich bin.
Ich weiß jetzt nicht, ob das gut oder schlecht ist,  ausschließlich auf Olympia fixiert zu sein ist aber schon eine ganz eigene und seltsame  Erfahrung. Im normalen Leben versuche ich auch auf den kürzesten Weg von A nach B zu kommen, egal was es kostet. Hier in Rio freut man sich, zusammen mit Tausenden anderer Olympiafans aus aller Welt die vollkommen überfüllten Bahnen und Busse zu nehmen. Gestern muss ich mit der Großfamilie Messi im gleichen Zug gewesen sein, denn alle hatten diesen Namen auf dem Rücken J.

Der Tag in Rio  hat mindestens 20 Stunden und fast keine Freiräume. Früh geht es 9.30 mit dem Bus zur Strecke, 17.00 Uhr zurück und 20.30 ist man dann im deutschen Haus. Dazwischen liegen zahlreiche Gespräche mit internationalen Kanufunktionären in Vorbereitung der anstehenden ICF Wahlen, man tauscht sich über die neuesten Gerüchte aus wer für was kandidieren will aber auch über die schwierige Situation im Sprint im Zusammenhang mit den Dopingfällen. Mitternacht fällt man dann ins Bett und hat außer von der eigenen Sportart nichts von Olympia gesehen. Aber es macht unwahrscheinlich Spaß, diese spezielle Olympia Atmosphäre zu spüren, die Begeisterung aller Sportler zu realisieren und die Erleichterung und den Stolz nach erfolgreichen Wettkämpfen oder den Frust nach gefühlten Niederlagen und ein Teil dieser olympischen Bewegung zu sein.

Update 1

Nur zur Erklärung - den ersten Teil meines Blogs schreibe ich im Bus auf dem Hinweg zur Wettkampfstrecke. Zurück schreibe ich dann über den Wettkampf des Tages. Und in den 30 Minuten zwischen Ankommen im Hotelzimmer und hetzen zum nächsten Termin versuche ich mit dem Tagesposting fertig zu werden.
Deshalb gibt es manchmal so zusammenhanglose Übergänge zwischen den Absätzen. Und noch eine Anmerkung - ich muss politisch vorsichtiger formulieren. Irgendwie hat die Presse vom Blog Wind bekommen und liest mit und hat meine Kritik an der  DOSB Kommunikationslinie  von gestern aufgegriffen und zur Überschrift gemacht. Vielleicht liest ja auch die Wirtschaft mit - wir brauchen dringend für unsere Sportler Sponsoren und sind preisgünstig zu haben !!!

Update 2

So ein Mist. 3 Hundertstel fehlten Hannes Aigner zur Bronzemedaille. Er hat so eine Superfahrt runtergebracht. Er ist volles Risiko gegangen, hatte keine Berührungen und im unteren Abschnitt eine Traumfahrt. Platz 4 ist das Undankbarste was man abbekommen kann. Offen gesagt, alle von unserem Team gingen mit hängenden Ohren von der Strecke ins Dorf. Selbst mir, der sonst um Worte nicht unbedingt verlegen ist, fiel nicht mehr viel Tröstendes ein. Nase putzen und weitermachen heißt jetzt die Devise. Morgen gibt es noch zwei Rennen und wir wollen wieder dabei sein, wenn es um die Medaillen geht.
Aber bei allem Frust über die knapp verpassten Medaillen - wir müssen uns immer wieder vor Augen halten,  wie viele hundertausende Sportler zu Olympia wollen und leider nie dort hinkommen und was viele Sportler für einen vierten oder fünften Platz bei Olympia geben würden.
So jetzt wird Kultur gemacht. Das polnische NOK hat zu einem Chopinkonzert eingeladen. Aber wahrscheinlich schlafe ich gleich bei den ersten Noten ein. Hauptsache ich bin zum Buffet wieder wach.