Montag, 8. August 2016

Tag 3 - man kommt langsam in Rio zurecht

Ich gebe zu,  ich habe Rio total unterschätzt. Es gibt keine kurzen Wege und vor allem keinen Nahverkehr so wie wir ihn kennen. Busse fahren zwar regelmäßig, aber leider nicht nach einem Fahrplan. Es ist kaum möglich U Bahn Pläne für die neue Linie 4 zu bekommen und wir wollen uns heute Abend einfach reinsetzen und schauen, wir weit wir in Richtung Deutsches Haus kommen. Taxis bekommt man zwar fast überall, aber die Preise unterscheiden sich nicht von denen in Deutschland aber die Distanzen sind deutlich länger. Da wird man arm, wenn man nicht das System des Nahverkehrs entschlüsselt. So lange unsere Wettkämpfe laufen,  werden wir also kaum Zeit finden, andere Wettkampfstätten zu besuchen, weil dafür die Wege zu lang sind. Aber Freitag bis Sonntag haben wir ja frei und wollen dann zum Rudern und zur Leichtathletik und mindestens ein Handballspiel unserer Deutschen anschauen.


Sicherheit wird in Rio großgeschrieben. Alle 500 Meter steht eine Polizeistreife mit MP in den Händen. Aber nicht so diskret wie in Deutschland, sondern immer mit Blaulicht und die MP in Richtung Straße gerichtet. Überall sieht man Militär. Selbst auf Hauptverkehrsstraßen wird plötzlich auf einer vierspurigen Straße der Verkehr auf eine Spur begrenzt, mit den entsprechenden Staus, und die Armee kontrolliert mit vorgehaltener MP alle Fahrzeuge. Gerade auf dem Weg zur Strecke hat uns ein Polizeiauto überholt, natürlich mit Blaulicht, und aus dem Seitenfenster ragte der Lauf der MP heraus. Nah an den Wettkampfstrecken sieht man dann auch Schützenpanzer mit schweren Geschützen auf dem Dach. Diese Bilder sind wahrscheinlich der Preis der Sicherheit auch wenn ich denke, dass das alles auch diskreter geht.

Heute konnte man sich schon auf der Busfahrt nach Deodoro zum Slalom Kanal mehr Zeit nehmen, um rechts und links aus dem Busfenster zu schauen. Deodoro ist ein Randbezirk von Rio. Rechts davon fängt schon fast der Urwald an und Links ist man nach 45 Minuten im Zentrum. Nach unseren Maßstäben beurteilt, ist das eher eine ärmere Gegend, aber die Brasilianer rechnen diesen Stadtbezirks noch zur Mittelschicht. Hier finden die Kanu-Slalom, die BMX und die Wettkämpfe im Modernen Fünfkampf statt. Das meiste an Wettkampfstätten und Tribünen ist nur temporär gebaut worden und wird nach den Spielen wieder abgebaut. Eigentlich war das Gelände ein ehemaliges Militärgelände, aber heute sieht man nichts mehr von der militärischen Nutzung. Alles wurde mit Augenmaß umgestaltet. Im Gegensatz zu London wurde auf Luxus verzichtet und die Slalomanlage wurde so einfach wie möglich gebaut. 3 Turbinen und leider keine Ersatzturbine sorgen für Wasser. Wir halten immer den Atem an, dass nichts kaputt geht. Letzte Woche hat das Stromkabel einer Turbine gebrannt, sodass das Training für den kompletten Tag abgesagt werden musste. Da es keinen See oder Fluss in der Nähe gibt und das Meer 45 Autominuten entfernt ist, musste das gesamte System mit Trinkwasser aufgefüllt werden. Aus einem Becken von ca. 4000 m² Fläche wird das Wasser dann in den Kanal gepumpt. Findet nichts im Slalomkanal statt, ist das Wasserbecken weit-und breit der größte Pool. Das haben die Cariocas schnell erkannt und zur Überraschung der Betreiber war nach der Erstbefüllung im Oktober das gesamte Gelände von Badegästen belagert. Als dann die Trainingssessions im Januar losgingen mussten die Organisatoren ihren ganzen Überredungskünste aufwenden, um das Wasserreservoire von Badenden freizuhalten. Sobald wir weg sind und die Tribünen abgebaut sind, wird die Bevölkerung das Gelände übernehmen und  wahrscheinlich wird der Slalomkanal dann zum größten Freibad Rios.

Wir reden immer über Legacy (das deutsche Wort Erbe klingt in diesem Zusammenhang irgendwie nicht gut) und haben dabei die Nachnutzung der Anlagen für Sportveranstaltungen im Kopf. Das was hier in Rio mit der Anlage passieren wird, ist wahrscheinlich gerade für die Einwohner dieses Stadtgebietes die deutlich bessere Legacy und lässt nach den Spielen etwas zurück, was die Bevölkerung noch Jahrzehnte nutzen kann. Apropos Bevölkerung: Insgesamt habe ich noch keinen Carioca gesehen, der gegen die Spiele ist. Alle die von den Spielen profitieren können, nutzen dies auch aus. Hotelpreise sind fast schon Wucher und die Taxipreise wohl auch teurer wie außerhalb der Spiele. Aber da macht es Rio nicht anders wie London oder andere Olympiastädte in der Vergangenheit. Ja, es gibt auch Proteste und gerade vorgestern demonstrierten nahe unserem Hotel ca. 1000 Einwohner. Aber die Teilnehmer dieser Proteste machten deutlich, dass sich die Proteste nicht gegen Olympia in der Stadt richten, sondern mehr gegen die eigene Regierung, die als korrupt und unfähig bezeichnet wird. Olympia und das internationale Interesse ist da nur der Auslöser und die Plattform, um die Unzufriedenheit von Teilen der Bevölkerung zum Ausdruck zu bringen .Das zumindest, sagten einige der befragten Demonstranten auch wenn mir klar ist, dass es hier viele unterschiedliche Wahrheiten gibt.

Jetzt aber zum heutigen Sport. CII und KI weiblich standen auf dem Programm. Ein sicheres Ding, dachten wir alle noch am Morgen. Der CII brachte als Vierter seinen ersten Lauf auch souverän runter. Das sah schon gar nicht so schlecht aus obwohl es wohl für das Finale noch einige Reserven gibt. Zittern ließ uns Melanie. Zwischen dem Tor 20 und der 22 ging nicht viel und sie musste sich schon strecken, das Tor 22 im zweiten Versuch doch noch zu treffen. Allerdings hat das fast 15 Sekunden gekostet und am Ende des ersten Laufes reichte diese Leistung nur für Platz 15. Das würde gerade noch für das Halbfinale reichen, aber auch die Spanierin hatte mit einer 50 den Finallauf vorerst verpasst. Alles wartete nun auf den zweiten Lauf von Melanie. Man merkte ihr die Vorsicht im Lauf an und am Tor 22 ging sie mit einem extra Kringel auf Nummer sicher. Am Ende konnten wir aufatmen, und Melanie schaffte als sichere Elfte das Halbfinale. Fazit nach den Vorläufen - alle Boote im Halbfinale - Nahziel erreicht. Morgen wissen wir mehr, was diese guten Zwischenergebnisse Wert sind. Ich habe gerade noch beim rausgehen Sid ganz locker telefonieren gesehen. Er scheint die richtige Mischung zwischen Spannung und Lockerheit gefunden zu haben. Also ein weiterer guter Grund, für das Halbfinale und Finale am morgigen Dienstag im CI optimistisch zu sein. Drückt alle die Daumen.

Jetzt starten wir den Versuch mit den Öffentlichen in  das Deutsche Haus zu kommen - dort gilt es noch einige Termine abzuarbeiten und mit Kollegen u.a. auch die anstehende Reform des deutschen Leistungssports zu besprechen. Der Sport muss ja auch nach Olympia weitergehen.