Montag, 12. September 2016

Rio - Die Zweite!!!


Wieder am Flughafen in London wie fünf Wochen zuvor und wieder 4 Stunden auf den Flug warten. Also die beste Zeit mit meinem Blog "dem Zweiten" zu beginnen und in den nächsten 4 Tagen über meine Erlebnisse bei den Paralympischen Spielen zu berichten.

Natürlich denkt man an dieser Stelle an die mehr als zwei Wochen in Rio während der Olympischen Spiele zurück und erinnert sich zuerst an schreckliche, immer noch nicht zu verstehende Schicksalsschläge, wir haben gerade am letzten Mittwoch Stefan die letzte Ehre erwiesen, aber auch an die atemraubenden Momente, die uns unsere Rennkanuten beschert haben. Rio und die Olympischen Spiele werden immer einen besonderen Stellenwert in meiner Erinnerung haben, gerade weil Tragik und Freude so eng beieinander lagen und ich bin sicher, hoffentlich nur mit freudigen Erinnerungen, dass dies auch für die Paralympischen Spiele gelten wird.

Manche meiner Mitarbeiter in meiner Firma die nichts mit Sport zu tun haben, haben mich gefragt, warum ich mir das antue nach zweieinhalb Wochen Rio, dem Empfang unserer Olympioniken bei der DM in Brandenburg, einer Präsidiumssitzung und anschließend einer Woche bei der Kanu Polo WM in Italien schon wieder nach Rio zu fahren. Die Antwort ist einfach - aus Respekt vor unseren behinderten Sportlern, die die gleiche Anerkennung und Wertschätzung für ihre herausragenden Leistungen verdienen und um großen Sport zu sehen. Und ich freue mich schon, Anke, Tom, Edina und Ivo bei ihrer Premiere bei den Paralympischen Spielen anfeuern zu können.

Was für eine Geschichte und was für eine Erfolgsstory liegt mit der Entwicklung des Parakanusports hinter unserem Sport und unserem Verband. Vielleicht der richtige Moment, um diese Geschichte Revue passieren zu lassen. Als Mitglied einer ICF Kommission haben wir seit 2007 an der Integration des Parakanusports in unserem Wettkampfprogramm gearbeitet. Viele, ja vielleicht die meisten der internationalen Vertreter haben uns ausgelacht und gemeint, dass dies nie etwas werden wird. Klar wussten wir, dass viele Behinderte weltweit paddelen, aber es schien fast unmöglich, diese für den Wettkampfsport zu begeistern. Auch wenn es makaber klingt, die Beteiligung vieler entwickelter Länder an Kriegen in den letzten 20 Jahren führte dazu, dass für versehrte Kriegsheimkehrer Möglichkeiten der Rehabilitation gesucht wurden und der Kanusport vor allem in Canada, England und Amerika für die Rehabilitation entdeckt wurde. Diese traurige Tatsache pushte den Parakanusport aber nochmals. 2009 haben wir es dann geschafft, eine Mehrheit in der ICF zu bekommen, sodass erstmals 2011 offizielle Weltmeisterschaften im Parakanu durchgeführt wurden.

Die meisten im Weltverband haben nur dafür gestimmt, weil sie dachten, dass wird sowieso nichts und wir werden Schiffbruch erleiden. Auch im DKV war damals die Skepsis größer als die Begeisterung. Wir wussten zwar von einigen Behinderten, die zum Spaß in Vereinen paddelten aber keiner ist wirklich auf die Idee gekommen, diese auch bei Wettkämpfen antreten zu lassen.  Selbst im Präsidium des DKV herrschte damals viel Skepsis davor. Ich muss gestehen, dass ich damals als Vizepräsident ohne Aussicht auf mein jetziges Amt erstmals (und wirklich nur einmal) hinter dem Rücken des Präsidenten und des Präsidiums und der sportlichen Leitung an der Umsetzung dieser Idee im DKV gearbeitet habe. Ich kannte einen Kanuten aus Schwedt, der bei einem Unfall ein Bein verloren hatte und immer noch fleißig paddelte: Bowi aus Schwedt. Übrigens später unser erster Medaillengewinner bei Weltmeisterschaften und 2012 unser erster Weltmeister. Gerhard Bowitzki war von der Idee begeistert und hat die ersten Leistungssportler buchstäblich von der Straße geholt. In einer Schwedter Einrichtung für Körperbehinderte konnte er drei Sportler begeistern, die im Herbst 2009 mit dem Paddeln begannen. 2010 kam dann noch ein Sportler aus Süddeutschland dazu und schon 2011 konnten wir Parakanu in unsere deutschen Meisterschaften integrieren.

Aber zurück zum Anfang. Im April 2010, als Präsident des DKV gewählt, viel es mir dann leichter, meine Kollegen von dieser Idee zu begeistern und im August standen 4 behinderte Sportler an der Strecke in Poznan und wollten an der Weltmeisterschaft teilnehmen. Alle von unserem Team  hatten den Mund offen als sie die Konkurrenz aus 21 Ländern sahen. Zwar war das Niveau noch lange nicht so hoch wie heute aber wir mussten feststellen, dass uns viele Länder voraus waren. Und Bowi schaffte trotzdem das Unmögliche und gewann die erste Silbermedaille für den DKV. Damals waren die Wettkämpfe der Behinderten zwar Teil der WM, fanden jedoch vor den Wettkämpfen der Nichtbehinderten statt. Es war deutlich die damalige Zweiklassengesellschaft zu spüren. Dies änderte sich schon 2013 als Duisburg nach der kurzfristigen Rückgabe des Veranstalters Rio einsprang und die Weltmeisterschaft im Kanu-Rennsport durchführte. Wir hatten in Duisburg die Möglichkeiten das ICF zu überzeugen, erstmals die Vor-und Endläufe der Parakanuten in das Programm der nichtbehinderten Kanuten zu integrieren. Seit 2013 können wir also von einer wirklichen Inklusion sprechen und wir Deutschen waren zu Vorreitern dieser Entwicklung geworden. Und was mich so bewegt ist die Tatsache, dass heute unsere behinderten und nichtbehinderten Sportler wie selbstverständlich in einem Team zu großen Veranstaltungen fahren. Was noch besser ist, dass man im Miteinander die Behinderung mancher Kollegen nicht mehr wahrnimmt. Das ist das wichtigste und Beste, was man im und mit dem Sport erreichen konnte.

Ich konnte in der Zeit des Aufbaus der Strukturen im Parasport aufregende Menschen treffen, die heute meine Freunde sind und meinen Horizont erweitert haben. Bowi - schon erwähnt - Horst Schlisio, Bruno aus Bayern der es uns mit seinem ganz speziellem Engagement nicht immer leicht gemacht hat, Christel Schlisio oder Michael Schmidt der selber im Rollstuhl sitzt, als Parakanute paddelt und im LKV Bayern Vizepräsident ist und noch viele, viele Mitstreiter mehr, die ich hier aus Platzgründen nicht aufführen kann.

Und jetzt sind wir Teil der Paralympischen Spiele - Wahnsinn !!!

Bei Paralympischen Spielen ist die organisatorische Situation etwas verworren. Normalerweise trainieren Behinderte in speziellen Vereinen unter dem Dach des Deutschen Behindertensportverbandes (DBS). Der DOSB und die olympischen Spitzenverbände haben normalerweise organisatorisch nichts mit dem Behindertensport zu tun. Die Sportarten die später dazugekommen sind, wie Kanu und Rudern und Segeln werden aber von ihren Verbänden betreut und das Geld kommt vom DBS. In der politischen Fachsprache heißt dieses Modell wohl "beliehener Unternehmer". Im Ergebnis trainieren unsere behinderten Sportler in ganz normalen Kanu-Vereinen gemeinsam mit allen anderen Sportlern. Behinderung und Nichtbehinderung verschwimmen hier und nur der Spaß am Paddeln zählt. Es gibt für mich keine Sportart die so gut für Behinderte geeignet ist wie Kanu. Selbst Querschnittsgelähmte können paddeln und sich beim Sport beweisen. Es ist auch kein Zufall, dass mittlerweile viele Reha Einrichtungen in Deutschland den Kanusport als Reha Maßnahme anbieten.

Um den Wettkampf gerechter zu machen gibt es 3 unterschiedliche Schadensklassen. Natürlich ist das größte Problem die Zuordnung zu einer Schadensklasse. Jedes Jahr aufs Neue führt dies zu großen Diskussionen bei den Sportlern. A propos Diskussionen - ja es war nicht immer einfach mit unseren Behinderten weil sie ganz spezielle, meistens sehr starke Charaktere sind, die ihr Recht einfordern. Dabei sind die Möglichkeiten des DKV beschränkt und wir hatten so manche Diskussion. Wenn ich sage, es war nicht immer einfach, dann ist das eine diplomatische Formulierung,  aber der Einsatz hat sich gelohnt.

In Rio werden nun 60 Sportler, 4 davon aus Deutschland in 6 Wettbewerben antreten. Selbstverständlich 3 für Frauen und 3 für Männer. Damit sind wir, was die Geschlechtergleichheit betrifft, den Nichtbehinderten zumindest bis Tokio schon voraus. Haben wir Chancen auf Medaillen - ja natürlich. Unsere Sportler gehen sehr selbstbewusst mit ihren Zielstellungen um. Edina und Tom wollen eine Medaille und haben Gold im Visier. Ivo will unter die besten Fünf kommen und für Anke wäre die Endlaufteilnahme schon ein riesen Erfolg. Aber auch Paralympische Spiele haben ihre eigenen Gesetze und vor allem die Nerven müssen halten. Aber vielleicht gilt hier das Wort von Coubertin mehr als irgendwo anders im Sport " Dabeisein ist alles". Schauen wir mal was passiert.
Die letzten Nachrichten vom Team sind erfreulich. Alle sind gesund und entgegen aller Erwartungen läuft die Organisation vor Ort reibungslos.

Aber jetzt geht es in den Flieger und da wahrscheinlich das Filmprogramm noch nicht gewechselt hat, werde ich mir zum zweiten Mal die Geschichte von "Eddi the Eagle" anschauen, der seit seiner Kindheit von der Teilnahme an den Olympischen Spielen gegen alle Widerstände träumte. Ihr wisst alle selber wie diese Geschichte ausgegangen ist.

Bis morgen aus Rio !