Nach 4 Tagen wieder am Flughafen.
Zeit den letzten Tag Revue passieren zu lassen und Bilanz zu ziehen. Aber bevor
ich zu den Rennen komme vorab 2 Anmerkungen.
1.Ich lag in meinem gestrigen
Blog falsch, dass Anke die erste Sportlerin ist, die in zwei unterschiedlichen
Sportarten bei Paralympics antritt. Danke für diese Richtigstellungen.
Überhaupt habe ich wieder sehr viel an Feedback zu unterschiedlichen Themen
meines Blogs bekommen. Es sei deshalb nochmals gesagt, dass hier nur meine
Eindrücke wiedergegeben werden und keine offiziellen Verbandsstatements
abgegeben werden. Sonst hätte ich manchen Unsinn auch gar nicht schreiben
können.
2. Es ist echt eine Schwei….ei, dass man in Deutschland keine Bilder von den Rennen empfangen konnte. Kameras waren vor Ort und ein internationale Signal wurde produziert und im brasilianischen Fernsehen waren die Bilder live zu sehen. Noch gestern hat es geheißen, dass der Olympic Channel die Bilder ausstrahlt. Das war dann nichts und ist einer von wirklich wenigen Kritikpunkten an diesen paralympischen Spielen. Ich kann jetzt nicht wirklich erklären, warum man in Deutschland keine Bilder sehen konnte, aber dies lag tatsächlich an den brasilianischen Organisatoren und nicht an der ICF.
Das Wetter war heute nicht
schlecht. Leichte aber wechselnde Winde, meistens von der Seite machte es für
die Außenbahnen etwas schwerer. Aber die Wettkämpfer hatten im wesentliche faire
und gleiche Bedingungen. Die Tribünen waren gut gefüllt und im Gegensatz zu dem
in den letzten zwei Tagen wieder sichtbar zurückgegangenen Interesse der
Zuschauer an den Paralympics in anderen Sportarten zieht der Kanusport
offensichtlich doch. Viele Prominenz aus dem Bundestag und vom DBS war
pünktlich 9.00 Uhr an der Strecke, als unsere erste Goldhoffnung an den Start
ging. Wieder eine Länge am Start verschenkt, zwischenzeitlich auch mal Vorne
und am Ende knapp geschlagen, ärgerte sich Edina über die verlorene
Goldmedaille. Jede andere Formulierung wäre falsch weil Edina Gold wollte. Das
ist dann aber Sport und Edina hat akzeptiert, dass eine Andere an diesem Tag
das Quäntchen besser war. Man hat ihr aber die Enttäuschung nach dem Rennen
schon angesehen und sie brauchte einige Zeit, um sich über die Silbermedaille
zu freuen. Aber Edina wäre nicht Edina, wenn sie nicht wirklich professionell
mit dieser Situation umgegangen wäre. Fast hätte sie die Siegerehrung verpasst,
weil so viele Vertreter von Presse und Fernsehen Interviews wollten. Alle
wollten gratulieren (und sie vielleicht auch trösten) und Hunderte an der
Strecke sich mit ihr fotografieren lassen. Edina ist auf jeden Fall ein Gesicht
der Paralympischen Spiele. Und Apropos Gesicht - 2 Stunden nach dem der Trubel
vorbei war, trafen wir uns nochmals alle am Sattelplatz und da hatte Edina schon
wieder das bekannte Strahlen im Gesicht.
Ivo hat sich schon über die Endlaufteilnahme gefreut. Er startete mutig und das Feld war eng zusammen. Am Ende knapper Achter der Welt beim bisher größten Parakanuereignis ist mehr als super. Wer seine Geschichte kennt weiß, dass er ja eigentlich im Va´a fährt und dort in seiner Schadensklasse zur absoluten Weltspitze gehört. Da wir diese Disziplin nicht in das paralympische Programm bekommen haben, hat er sich erst im letzten Jahr auf den Kajak konzentriert. Aufgabe bravourös erledigt - dass ist das Fazit was mir zu Ivos Leistung einfällt.
Tom Kierey, unsere nächste
Goldhoffnung ging im letzten Rennen des Tages an den Start. Sein größter
Konkurrent, ein Ukrainer direkt neben ihm. Start nicht ganz optimal, aber nicht
viel verloren und dann ein Kopf an Kopf Rennen zwischen diesen beiden. Auch
hier konnte man mit bloßem Auge nicht feststellen, wer gewonnen hat. Es waren
dann Hundertstel, die er im Ziel hinter dem Ukrainer lag. Auch er brauchte Zeit,
sich zu freuen und hat sich anfänglich mehr über das verlorene Gold geärgert
als über Silber gefreut.
Aber Hallo Edina und Tom - Ihr seid bei den ersten Paralympischen Spielen die zweitbesten der Welt geworden und wir sind stolz auf euch und freuen uns mit euch über Silber. Und außerdem haben beide keine Stunde nach ihrem Rennen angekündigt, dann eben in Tokio Gold zu holen.
Was gibt es noch über diese Wettkämpfe zu sagen:
Das Niveau ist unwahrscheinlich hoch und professionell geworden. Die Abstände zwischen Ersten und Letzten in den Finals waren unwahrscheinlich knapp. Bei anderen Sportarten ist dies noch lange nicht so und ein so gleiches Niveau auf einem hohen Level können nicht viele andere Sportarten nachweisen. Andere Verbände haben deutlich professioneller Strukturen wie der DKV. Das hängt auch mit unserer komplizierten Situation und der geteilten Verantwortlichkeit zwischen DBS und DKV aber auch mit Geld zusammen. Team GB hatte ca. 15 Betreuer, wo wir nur mit 4 dabei waren. Team GB hat mittlerweile 11 hauptamtliche Trainer nur für Parakanu, wo wir gerade mal einen hauptamtlichen Trainer haben. Wollen wir weiter vorne mitspielen, müssen wir für die Paras genauso professionelle Strukturen schaffen wie für unsere Nichtbehinderten.
Die Medaillen gingen insgesamt an
9 Länder aus 4 Kontinenten. 4 Länder teilten sich die 6 Goldmedaillen, wobei
Team GB 3 abräumte.
Es war ein perfekter Wettkampf
bezüglich der Organisation und wenn man die vorhandenen Bilder jetzt noch ins
Fernsehen bringen könnte, wäre wirklich alles perfekt.
Das Ende der ersten Etappe einer
langen Reise im Parakanusport liegt hinter uns und mit dieser professionellen
Vorstellung hier in Rio wird die Reise noch lange weitergehen.
3 Wochen voller unvergesslicher Eindrücke und wenig Schlaf in einer Wahnsinnsstadt die man lieben und hassen gelernt hat. Die Erkenntnis, dass es jetzt aber auch mit Rio reicht und ich nicht so schnell wieder zurückkommen muss. Lieber zukünftig Urlaub an einem ruhigem spanischen Strand als an der Copa.
Die Erkenntnis für mich, dass
wenn man aus dem Koffer lebt man auch nach 3 Wochen noch nicht die untere
saubere Schicht der Klamotten erreicht, sondern immer wieder die von Oben
nimmt. Ich hoffe meine Kollegen und Freunde haben nichts gerochen.
Die Erkenntnis, dass Olympische Spiele in einem Schwellenland anders aber auch nicht schlecht sind.
Die Erkenntnis, dass es den Sportlern ziemlich egal ist, ob sie in Rio oder am Nordpol um ihre Medaillen kämpfen, wenn dann der Transport klappt und das Essen schmeckt. Die Erkenntnis, dass die Spiele nie die Stimmung entwickelt haben, wie wir sie in London erlebt haben und das die Brasilianer wie ihr gesamtes Land sehr gespalten waren, was das Interesse und die Begeisterung für die Spiele betraf.
Die Erkenntnis, dass es erstmals bei Olympischen und Paralympischen Spielen nicht geklappt hat, die politische Diskussion um die Verantwortung und die Zukunft des Sports und um all die sportpolitischen Themen über die vor den Spielen diskutiert wurde, mit Beginn der Wettkämpfe zu stoppen und ab dann nur über den Sport zu berichten, aber auch die Erkenntnis, dass Freude und Skepsis sowohl bei Athleten wie auch bei den Zuschauern immer eng zusammen lagen und die Diskussion über Doping alles überlagerte.
Die Erkenntnis, dass es zu kurz gedacht ist sich nur auf die Russen einzuschießen, sondern dass wir ein weltweit vergleichbares und professionelles Kontrollsystem brauchen. Die Spiele haben (noch) nicht an Strahlkraft verloren weil die Idee funktioniert aber lange kann der Sport nicht mehr vom Kredit zehren, dem ihm die Öffentlichkeit momentan noch einräumt. Die Erkenntnis, dass der olympische Sport in seiner größten Glaubwürdigkeitskrise bisher ist und am Scheideweg steht, was die Strahlkraft der olympischen Idee betrifft.
Die Erkenntnis, dass der deutsche Sport (Paras und Nichtbehinderte) für das was er an Geld bekommt gar nicht so schlecht ist. Andere Nationen haben mehr Geld und waren schlechter. Lasst uns auf den deutschen Sport stolz sein und bei allem was zu verbessern ist, nicht immer nur unser deutsches Sportsystem schlechtreden.
Die Erkenntnis, dass es in Rio manchmal eklig kalt und regnerisch sein kann.
Die Erkenntnis, dass man die sozialen Medien professionell bedienen muss um die Neugier und den Wunsch nach Informationen zu versorgen und Werbung für die eigene Sportart zu machen. Ohne soziale Medien geht gar nichts mehr.
Die Erkenntnis, dass der Kanusport bei Behinderten und Nichtbehinderten unwahrscheinlich viel zu bieten hat und eine der aufregendsten Präsentationen in Rio abgeliefert hat. Und das sage ich nicht mit der "Kanubrille" auf, sondern aus tiefster Überzeugung. So enge Rennen, so knappe Abstände, so eine weltweit breite Verteilung der Höchstleistungen und Medaillen haben nur wenige andere Sportarten zu bieten.
Die Erkenntnis, dass wir vielmehr Fans und Mitstreiter in Deutschland haben als ich das je für möglich gehalten habe. Alleine meine Blogbeiträge von den Olympischen Spielen wurden 30000 mal gelesen.
Die Erkenntnis, dass ich an meiner Groß-und Kleinschreibung ebenso wie an meiner Kommasetzung dringend arbeiten sollte.
Jetzt geht’s nach Brandenburg zur Kanu-Marathon WM. Ich werde die fehlende Hektik vermissen.