Mittwoch, 10. August 2016

Tag 4 - Noch ist die Stimmung gedrückt

Eigentlich war es ganz einfach, per "Öffentliche" in das Deutsche Haus zu kommen. Zwei Mal die U-Bahnlinie wechseln und dann nahtlos weiter per Bus und wir waren fast im Deutschen Haus. Ich nehme alles zurück, was ich über den Nahverkehr in Rio gestern gesagt habe. Man muss sich halt nur damit beschäftigen und dann klappt es.

Allerdings war  die Stimmung im Deutschen Haus schon gedrückt. Timo Boll ausgeschieden, im Judo nicht weitergekommen und immer noch keine Medaille für Deutschland. Alles wartete auf Paul Biedermann und sein Rennen über 200 m.  Aber dann Platz 6, wieder nichts mit einer Medaille für Deutschland und einige Funktionäre und Kollegen aus anderen Verbänden fingen dann schon an zu frotzeln, dass Dabeisein alles ist und selbst unser DOSB Präsident ja gesagt hat, dass Medaillen nicht mehr so wichtig sind. Das war natürlich Galgenhumor und ich und viele andere sehen das ganz anders. Zum Sport gehört schon im Kindergarten der Wettstreit mit seinen Freunden und das Streben, schneller oder besser  zu sein wie die anderen. Zum sportlichen Wettstreit gehört immer auch, sich persönlich verbessern zu wollen und selbst Freizeitsportler stellen sich sportlichen Herausforderungen und wollen entweder schnell sein oder weit paddeln. Also gehört der Wettstreit gegen andere und gegen sich selbst und der Versuch besser zu sein als Mitbewerber automatisch zum Leistungssport und ist Motivation für die kleinsten im Verein wie auch für unsere Olympioniken. Da hilft es nicht, dass der DOSB immer wieder in seinen Statements rumeiert und mal Medaillen zählen will und am nächsten Tag nur das Dabeisein zählt. Klar ist es schwierig für den DOSB, sich in Zeiten der Diskussion über Doping im Sport zur Leistung zu bekennen. In der Wirtschaft wird wahrscheinlich noch mehr betrogen als im Sport und trotzdem zweifelt keiner die deutsche Zielstellung an, Exportweltmeister zu sein. Wir haben hier Kartellämter und klare Regeln was man darf und was nicht.  Wir brauchen in der Dopingdiskussion härtere und abschreckende Strafen, dürfen aber nicht mit der Begründung, dass wir so Doping vermeiden, die Leistungsmaßstäbe verwässern. Besser ist es, in der gesellschaftlichen Wahrnehmung Doping mehr zu ächten als bisher und klarzumachen, wer einmal dopt, hat im Leistungssport nichts mehr zu suchen (aber jetzt Schluss - ich wollte ja keine Sportpolitik machen)

 

Update 1:

Zwischen den ersten Zeilen und dem jetzigen Abschnitt liegen 5 Stunden. Deutschland hat die ersten Medaillen und die Diskussion um das Abschneiden der Olympiamannschaft wird jetzt wahrscheinlich leiser. Leider konnte Sideris nichts zur Medaillenbilanz beitragen. Er hat trotzdem eine super starke Leistung gezeigt und Fünfter bei Olympia ist ja auch nicht schlecht. Klar wollte er eine Medaille und war auf einem guten Weg dahin. Er ist bewusst im Halbfinale auf Sieg gefahren und musste dann als Letzter im Finale starten. Er wusste nach dem Lauf des Franzosen und des Slowaken, dass seine Halbfinalzeit nicht reicht und er im Vergleich zum Halbfinale noch mindestens 2 Sekunden rausfahren muss und ist dann im Finale volles Risiko gegangen. Das ist Slalom und eine Berührung kostet dann den Medaillenplatz. Er hat sich seine Enttäuschung nicht anmerken lassen. Er ist mit sich im Reinen und wusste, dass dies die einzige richtige Taktik war. Und wir haben ja noch 3 Chancen.
Es war auch nicht wirklich Sids Kurs, er bevorzugt mehr die schweren Strecken. Nach Kritiken an der Kurssetzung im Vorlauf, die von einigen Mannschaftsleitern als zu schwer empfunden wurde, musste der Kursdesigner unser ehemaliger Olympiasieger Thomas Schmidt einen leichteren Kurs setzen. Aber das soll keine Ausrede sein.

Immerhin hatten wir zur besten Sendezeit in Deutschland die Liveübertragung im ZDF. Zwischendurch habe ich einige Mails und SMS bekommen, dass die Reporterin nicht so gut sei, andere haben geschrieben wie Klasse der Kommentar war. Also offensichtlich auch hier eine Geschmacksfrage. Susanne Simon die hier kommentiert, war im Juni in Augsburg und hat sich wirklich intensiv, inklusive einer Kanalabfahrt im Zweier, mit unserem Sport vertraut gemacht. Ich werde mal versuchen, mir in der Mediathek die Aufzeichnung anzusehen, was aus dem Ausland nicht ganz einfach ist, und vielleicht morgen nochmals mit ihr sprechen. Danke an dieser Stelle für das Feedback von vielen Kanubegeisterten.

Update 2

Gerade hat mich ein Journalist angerufen und bezugnehmend auf eine Kritik von Sid gerade vor der Presse über die Zielstellung des Verbandes mindestens 2 Medaillen zu holen und damit die Sportler unter Druck zu setzen berichtet und gefragt, wie ich dazu stehe. Ich kann Sids offensichtlichen Frust gut verstehen, glaube aber trotzdem, dass diese offene Kommunikation unserer Ziele richtig ist. Wir wären nicht der DKV, wenn wir tiefstapeln würden. Zwei Medaillen waren und sind immer noch möglich und hätten wir die Sportler gestern noch befragt, hätten sie wahrscheinlich alle eine Medaille als Ziel angegeben.

Trotzdem ist das Ergebnis für den internationalen Kanusport ein historisches. Genau auf den Tag, 80 Jahre auf den Tag nach Gründung des asiatischen Kanuverbandes hat ein Asiate erstmals eine Olympiamedaille geholt. Das hilft uns zumindest als Sport die internationale Verbreitung beim IOC zu beweisen. Auch wenn damit die Stimmung im deutschen Kanulager nicht besser wird.
Ich habe gerade noch einmal mit dem Sportdirektor in Deutschland gesprochen, kurz bevor er in den Flieger nach Rio gestiegen ist und gehört, dass das Rennsportteam gut drauf und vor allem Gesund ist. Für sie geht es morgen in den Flieger nach Rio.

Wenn mich heute jemand fragt, wo das Herz von Olympia am lautesten schlägt würde ich mich für die Copacabana entscheiden. Ich bin heute früh den gesamten Strand abgejoggt und an der Beachvolleyballarena und den Triathlontribünen vorbeigelaufen. Aber auch Langstreckenschwimmen und der Start und Zielbereich der Straßenradwettbewerbe befindet sich hier. Schon 7.30 Uhr standen die Leute vor der Beachvolleyballarena obwohl diese erst 9.00 Uhr aufmacht. Der Strand war voll von Joggern, Spaziergängern, Badendenden und allerlei Lebenskünstler, die offensichtlich am Strand übernachtet haben. Dort herrscht eine so gelöste Stimmung und überall kann man brasilianische Flaggen und die olympischen Ringe sehen und die Lebensfreude der Brasilianer war regelrecht zu spüren. Genauso beeindruckt hat mich das Selbstbewusstsein der Cariocas. Viele der Jogger und Bader waren nicht wirklich schlank. In Deutschland hätte man verschämt ein weites T-Shirt angezogen und die Problemzonen verdeckt. Hier wird Oberkörper frei gejoggt und auch stärker gebaute Damen haben unwahrscheinlich kleine Bikinis an. Die Brasilianer sind schon ein lustiges und selbstbewusstes Völkchen. Sie sind auch sehr emotional, leider zeigen sie das meistens aber nur für ihre Sportler. Wenn ein Brasilianer den Kanal runtergefahren ist, war dort die Hölle los und man konnte sein eigenes Wort nicht verstehen. Kaum war er aber im Ziel, verließen die meisten Brasilianer die Tribünen und der Rest des Feldes musste ohne Anfeuerung der Einheimischen paddeln.

Apropos Tribünen - kein Vergleich mit London, was das Zuschauerinteresse betrifft. Man hört von anderen Sportarten, dass die Tribünen teilweise in den Vorkämpfen fast leer sind. Bei uns in Deodoro war es gar nicht so schlecht mit dem Interesse und ich schätze mal, dass bei einer Kapazität von 6000 Plätzen immer deutlich mehr als die Hälfte belegt waren.

Noch eine Episode am Rande. Eigentlich wollte ich nur die halbe Copacabana hoch und runter joggen und nach 30 Minuten zurück im Hotel sein. Ich habe dann aber nicht mehr die Querstraße zum Hotel (unser Hotel befindet sich ca. 500 m von der Copacabana Richtung Stadtinneres entfernt) zurückgefunden und bin zu weit gejoggt. Da ich nur meine Schlüsselkarte mit hatte und dort keine Adresse drauf stand und alles gleich aussah, musste ich mir helfen und habe Einheimische nach dem Weg gefragt. Sehr nett und hilfsbereit haben mich der Erste, den ich fragte, und auch der Zweite jeweils nach Blick auf ihr Handy in die falsche Richtung geschickt. Erst der Dritte hat mich, als ich am Ende des Strandes angekommen war und mein Hotel immer noch nicht gefunden hatte dann wieder zurückgeschickt. Aus dreißig Minuten joggen ist mehr als eine Stunde geworden.
Nimm immer dein Handy mit und frage keine Einheimischen auch wenn sie noch so freundlich sind nach dem Weg,  sind weitere Olympiaerfahrungen für mich.
Vielen Dank für die vielen Mails und SMS im Zusammenhang mit meinem Blog. Danke auch für kritische Anmerkungen. Ich will hier nicht den Blick eines Funktionärs auf die Spiele wiedergeben, sondern den eines sportbegeisterten Besuchers der mit staunenden Mund die Eindrücke aufsaugt. Also, wem es nicht gefällt muss es nicht lesen.